„Es ist verblüffend“ – dies war mein Gedanke, als ich von einer Studie über die Behandlung von Kniegelenksarthrose laß.
Dr. Moseley führte eine Placebo-Experiment mit 180 Patienten durch, um der Frage nachzugehen: Bringt die Kniegelenkarthrose-Behandlung wirklich etwas?
Die Patienten wurden in drei Gruppen aufgeteilt:
- Die erste Gruppe erhielt die volle Behandlung,
- die zweite Gruppe erhielt einen Teil der Behandlung und
- die dritte Gruppe lediglich eine Narkose sowie die Schnitte des Eingriffs.
Das überraschende Resultat: In den folgenden zwei Jahren nach der Behandlung zeigte sich bei allen drei Gruppen eine Linderung der Schmerzen, und zwar im gleichen Maße.
Als die Moseley-Studie im Jahr 2002 veröffentlicht wurde, warf sie die Frage auf: „Hätten die 1.000.000.000 (eine Milliarde) USD, welche die Eingriffe bisher kosteten, nicht sinnvoller verwendet werden können?„ 1
Eine durchaus berechtigte Frage.
Zugleich tritt eine weitere interessante Frage auf: Kann lediglich die positive Erwartung (der Glaube) unsere objektiven Erfahrungen beeinflussen?
Dieser Frage wollen wir im Folgenden auf den Grund gehen.
Der Placeboeffekt
Der Placeboeffekt ist bekannt aus der Medizin; er beschreibt eine vorgetäuschte Behandlung oder ein Arzneimittel ohne Wirkstoffe, welche(s) bei einem Patienten positive Wirkung hervorruft.
In diesem Artikel werden medizinische Studien aufgeführt, die den Placeboeffekt wissenschaftlich belegen. Nach dieser Erkenntnis wird untersucht, welche Auswirkungen der Placeboeffekt auf unser Kaufverhalten, sportliche Leistungsfähigkeit und Konzentration hat. Den Abschluss bildet das Resultat eines Selbstexperiments; indem eine Woche lang der Placeboeffekt anhand von Koffein-Tabletten getestet wurde.
Klinische Studien zum Placeboeffekt
Einer der frühsten Berichte des Placeboeffekts in der medizinischen Literatur datiert auf das Jahr 1794 zurück.
Der italienische Arzt Gerbi behandelte die Zahnschmerzen seiner Patienten mit einem Wurmsekret. Noch ein ganzes Jahr nach der Behandlung berichteten 68% der Patienten, dass sie keine Schmerzen mehr hatten. 4 Hilft die Absonderung eines Wurms wirklich gegen Zahnschmerzen?
Präsident Lincoln – mit einer Schusswunde im Sterben liegend – soll mit zerstoßener ägyptischer Mumie behandelt worden sein. 5 Noch 1908 fand diese Form der Behandlung ihre Anwendung. 6
Damals gehörten noch ganz andere Heilmittel zum alltäglichen Repertoire: Krötenaugen, Fledermausflügel, Quecksilber getrocknete Fuchslungen, etc.
Bei uns ist das heute alles ganz anders! Stimmt das wirklich?
Im Jahr 1955 führte Dr. Cobb ein Placebo-Experiment durch, dass die Wirksamkeit einer Operation am Brustkorb bestätigen sollte. Bis dato wurde Patienten 25 Jahre lang der Brustkorb am Brustbein geöffnet und die innere Brustwandarterie unterbunden, wenn sie an Angina Pectoris litten. Ein durchaus unangenehmer Eingriff.
Sowohl das subjektive Befinden der Patienten als auch die Elektrokardiogramme zeigten bei beiden Gruppen die gleichen Resultate. Die Menschen wurden 25 Jahre lang ohne Grund wie Fische filetiert. 7
Ein paar weitere Beispiele:
- Zur Behandlung von Herzrhythmusstörung wurden die Wirkstoffe Encainid, Flecainid und Mexiletin verschrieben – bis festgestellte wurde, dass sie zu Herzstillstand führten. 8
- Eine Untersuchung der sechs führenden Antidepressiva ergab, dass 75% der Mittel ihre Wirkung dem Placeboeffekt zuschreiben dürfen. 9
- Auch operative Eingriffe am Gehirn bei Parkinson-Krankheiten erwiesen sich als Placeboeffekt. 10
… Die Liste ließe sich ewig weiterführen.
Natürlich – alle diese Behandlungen werden mit (hoffentlich) guter Absicht durchgeführt. Aber das galt auch für die ägyptische Mumie und Krötenaugen.
Am Placeboeffekt scheint also – wissenschaftlich bewiesen – etwas dran zu sein. Wie aber lässt sich der Effekt erklären?
Placebo = Erwartungshaltung + Konditionierung
Placebos funktionieren durch die Kraft der Suggestion. Sie wirken, weil wir daran glauben.
Es sind im Wesentlichen zwei Mechanismen, die einen Placeboeffekt hervorrufen: Erwartungshaltung und Konditionierung. 11 12
Die neuronalen Aktivierungen im Gehirn beeinflussen den Stoffwechsel und können körperliche Reaktionen bewirken. Dadurch lässt sich erklären, dass objektiv messbare Körperfunktionen durch den Placeboeffekt beeinflusst werden. 13
Konditionierung ist den meisten ein Begriff durch die berühmten Pawlowschen Hunde.
Der menschliche Körper baut nach wiederholten Erfahrungen ebenfalls eine Erwartungshaltung auf. 15
Ein paar Beispiele:
- Du hast eine Pizza bestellt und es klingelt an der Tür. In deinem Magen beginnen die Verdauungssäfte bereits zu fließen, noch bevor du die Pizza riechst.
- Allein die Annahme, du befindest dich in einer Gefahrensituation, lässt deinen Körper Adrenalin ausschütten.
- Die Flitterwochen; dein Partner und du liegen gemeinsam vor dem Kaminfeuer, die Aussicht auf Sex lässt deinen Körper bereits vorher Endorphine ausstoßen.
Ebenso verhält es sich bei dem Placeboeffekt in der Medizin: Die Situation ein Medikament einzunehmen oder einen Eingriff zu erhalten löst in uns die Erwartung der Genesung aus.
Ein anderes Placebo-Phänomen: Der Preis als Indikator für Qualität
Nicht nur in der Medizin ist nachgewiesen, dass der Preis 18 und der Markenname 19 einer Behandlung oder eines Medikaments eine Auswirkung (einen Placeboeffekt ) auf die Genesung hat.
Sind wir ehrlich zu uns: Wir stehen im Einzelhandelsgeschäft und wollen ein Produkt kaufen, dessen Qualität wir nicht beurteilen können.
Sehr wahrscheinlich werden wir unsere Entscheidung aufgrund des Preis oder des Markennamens treffen. Im Nachhinein sind wir aufgrund des Preises oder der Marke davon überzeugt, ein qualitativ hochwertiges Produkt erworben zu haben. Unsere objektive Erfahrung „Qualität“ ist also beeinflusst. Dieser Effekt wird als Marketing-Placebo beschrieben. 20
Sogar unsere Geschmacksnerven
Beeinflusst die Erwartung eine bestimmte Sorte Bier zu erhalten den Geschmack? Das hat Dan Ariely in einer Kneipe am MIT untersucht. 21
In der Kneipe wird das liebevoll genannte MIT-Bräu ausgeschenkt – ein mit 20 Tropfen Balsamico-Essig versetztes Bier. Wie du dir denken kannst, sah der Versuch wie folgt aus: Das MIT-Bräu (A) und ein handelsübliches Bier (B) wurde den Probanden angeboten und sie sollten sagen, welches Bier ihnen besser schmecke.
Personen die vor der Geschmacksprobe von dem Essig in Bier (A) wussten, entschieden sich für Bier (B) – sie rümpften bereits die Nase, bevor sie das mit Essig versetzte Bier (A) tranken.
Die Mehrheit der Personen, die nichts von dem Essig wussten, entschied sich jedoch für Bier (A) – dem mit Essig versetzten Bier.
Was schmeck besser: Coco-Cola oder Pepsi?
Eine Blindstudie der Neurowissenschaftler S. McClure, J. Li, D. Tomlin, K. Cypert, L. Montague und R. Montague sollte diese Frage beantworten.
Das Besondere bei diesem Versuch war der Einsatz eines MRTs, um Gehirnaktivitäten der Teilnehmer messen zu können. In dem Moment der Blind-Verkostung wurde der Gehirnbereich stimuliert, der unsere emotionale Reaktion steuert und verarbeitet.
Als die Probanden wussten, welche Marke sie probierten, geschah etwas Überraschendes. Der Bereich höherer Gehirnfunktionen wurde aktiviert, der für Assoziationen und Erkenntnisse verantwortlich ist.
Resultat: Die chemische Zusammensetzung der Getränke spielte keine Rolle. Die Reaktion des Gehirns auf den Genuss (Zucker) beider Getränke war gleich. Coca-Cola konnte einzig durch seinen Markennamen mehr Stimulation des Gehirns erzielen als Pepsi.
Auch unsere sportliche Leistungsfähigkeit unterliegt dem Placeboeffekt
Viele Sportler bereiten sich mehrere Tage mental auf einen Wettkampf vor.
Während des großen Tages reden sich viele Athleten Mut zu; führen Selbstgespräche um sich zu Höchstleistungen anzuspornen.
Da wir wissen, dass der Placeboeffekt (Erwartungshaltung und Konditionierung) körperliche Funktionen beeinflussen kann, wen wundert es da, dass diese Methoden funktionieren?
Ein Marathon wird im Kopf entschieden
– so heißt es im Volksmund
Bisher durfte ich die Marathonstrecke 15-mal hinter mich bringen und das Zitat hat sich jedes Mal als richtig erwiesen.
Drei Mal lief ich die Distanz ohne jegliche Verpflegung. Eine Erfahrung, die ich nicht vergessen werde. Ich spürte das erste Mal was Hunger wirklich bedeutet. Ohne mentale Tricks und die Erwartungshaltung, mein Ziel zu erreichen, wären mir diese Leistungen nicht geglückt.
Eng verwandt mit dem Placeboeffekt ist die selbsterfüllende Prophezeiung. 22 Als ich eine zeitlang Kreatin zum Muskelaufbau eingenommen habe, bezog dies einen Teil seiner Wirkung aus genau jenem Phänomen: Ich hatte einfach intensiver trainiert und dadurch zusätzlich mehr Erfolge verzeichnen können.
Das Selbstexperiment: Koffein- und Pfefferminz-Tabletten
Um nicht nur theoretisch und aus meinen Erfahrungen über den Placeboeffekt zu berichten, führte ich in der vergangenen Woche ein Experiment durch.
Seit zwei Monaten nehme ich Koffein-Tabletten in einer Dosis von 200mg etwa 4-mal wöchentlich zu mir. Bis dato konsumierte ich keinen Kaffee und auch keine sonstigen Präparate die Koffein enthalten. Folglich sind meine Rezeptoren keineswegs für den Inhaltsstoff blockiert. Im Gegenteil: Ich spreche hervorragend auf den Wirkstoff an.
In den letzten zwei Monaten, als auch in der vergangenen Woche, änderte sich nichts an meinen beruflichen oder sportlichen Aktivitäten.
Der Versuchsaufbau
In einem Blindtest wurde mir 7 Tage lang nach dem Frühstück eine Koffein- oder Pfefferminz-Tablette verabreicht. Die Tablette wurde auf einen Esslöffel mit Apfelmus gelegt, sodass ich diese direkt schlucken konnte. Anschließend spülte ich mit Wasser nach.
Der Versuchsaufbau führte dazu, dass ich an lediglich 2 von 7 Tagen wusste, dass ich überhaupt einen Feststoff zu mir nahm. Anhand des Bildes ist ersichtlich, dass ich aufgrund der Form der Tabletten nicht hätte spüren können um welchen Wirkstoff es sich handelt. Mir war zwar bewusst, dass ich einen alternativen Feststoff einnehme, aber ich wusste nicht, um welchen Wirkstoff es sich dabei handelt; noch welche Form dieser besitzt.
Das Resultat
Jeden Tag traf ich eine endgültige Aussage die ich mit Ja bzw. Nein betitelte (Ja = ich hatte eine Koffein-Tablette eingenommen, Nein = ich hatte keine Koffein-Tablette eingenommen). Die Prozentzahl gibt Aufschluss darüber, wie sicher ich mir war. Das heißt konkret: 100% bedeutet ein sicheres Ja und 0% ein sicheres Nein. Am ersten Tag bedeutet die Aussage „Nein, 40%“ also eine knappe Entscheidung für ein Nein.
Datum | 16.06 | 17.06 | 20.06 | 21.06 | 22.06 | 23.06 | 24.06 |
Aussage | Nein, 40% | Ja, 80% | Ja, 90% | Ja, 85% | Nein, 40% | Ja, 70% | Ja, 60% |
Wahrheit | Nein | Nein | Nein | Ja | Ja | Nein | Ja |
True Positives = 2, False Positives = 3
True Negatives = 1, False Negatives = 1
Precision = 0.400
Recall = 0.667
Die Interpretation
Ein überraschendes Ergebnis. In nur 40% der Fälle lag ich richtig …
Drei Mal (!) dachte ich, dass ich eine Koffein-Tablette eingenommen hatte, obwohl dies nicht der Fall war. Ich spürte sogar die Nebenwirkungen.
Derzeit schreibe ich meine Masterarbeit: Die Einnahme von Koffein-Tabletten verleiht mir dabei einen Push um in den Flow zu kommen. Dieser Push hat mir in der Woche des Experiments ungemein gefehlt, da ich nicht wusste, ob ich eine Koffein-Tablette einnehme oder nicht. Schon hier merkte ich, dass ein großer psychologischer Aspekt dahinter steckt.
Die Aussage ob ich eine Koffein-Tablette einnahm, traf ich anhand meines Gefühls (mir bekannte Wirkung und Nebenwirkung) sowie der wahrgenommenen Konzentrationsleistung.
Letztlich lässt sich nur ein Fazit aus dem Experiment ziehen: Meine Konzentration unterliegt Schwankungen und der Glaube daran, sich konzentrieren zu können, hilft im gleichen Maße, wie die Einnahme einer Koffein-Tablette.
Glaubt mir, wenn ich sage, dass ich mir das Resultat selbst kaum eingestehen will – die Koffein-Tabletten hatten doch gewirkt?! Wie kann sich mein Körper so täuschen? Faszinierend.
Seit dem Experiment habe ich keine Koffein-Tablette mehr eingenommen. Ich bin sehr gespannt darauf, wie mein Körper bei der nächsten Einnahme reagiert.
Fazit
Ich halte per se nichts von Gurus die mir sagen, dass mein Leben schöner ist, wenn ich mir doch einfach positive Gedanken mache. Doch die Auswirkung unserer Erwartungshaltung auf Genesung, Konzentration und sportliche Leistungsfähigkeit lässt sich wissenschaftlich nachweisen. Nach dem Lesen der Studien und dem durchgeführten Experiment stellt sich mir daher die Frage: Wie viel Macht hat unsere Erwartungshaltung (Gedanken) tatsächlich? Und was für Implikationen ergeben sich daraus?
[…] situationsbedingt beim Sport. In seinem Placebo Experiment hat er Koffeintabletten sogar schon hier auf Ubermind getestet. Dabei wurde ihm in einem Blindtest 7 Tage lang nach dem Frühstück eine Koffein- oder […]