Stelle dir vor du fährst von der Arbeit nach Hause. Dir geht eine Vielzahl von Dingen durch den Kopf, an die du zu denken hast: „die Glühbirne muss gewechselt werden, für morgen ist kein Brot mehr da, ich habe mich lange nicht bei meinen Freunden gemeldet, der Urlaub muss noch gebucht und die E-Mail beantwortet werden“.
Wenn du gerade nichts zum Schreiben parat hast vergisst du vermutlich einiges davon. Selbst wenn du alles aufschreiben kannst: auch die strukturierteste ToDo-Liste der Welt hilft dir nicht dabei, alle wichtigen Informationen im Kopf zu behalten.
Mnemotechnik kann dir helfen, die wichtigsten Informationen im Laufe des Tages abzuspeichern. Das ist nicht nur effektiv sondern gelegentlich auch sehr amüsant! In diesem Artikel zeige ich dir, welche Vorteile die Mnemotechnik für deinen Alltag parat hält.
Wie erstaunlich gut die Merkmethoden funktionieren und zu welchen überraschenden Ergebnissen unser Gehirn in der Lage ist, kannst du in einem Selbstexperiment für dich in Erfahrung bringen.
Mnemotechnik, was ist das eigentlich?
Die Mnemotechnik (Gedächtniskunst) entwickelt Merkmethoden. Der Begriff leitet sich von der griechischen Göttin Mnemosyne, der Göttin der Erinnerung ab.
Bereits Aristoteles beschäftigte sich mit der Gedächtniskunst, als er in seiner Schrift „Über die Seele“ feststellte, dass ein Mensch nicht ohne Bilder denken könne. Erste Anwendung fand die Mnemotechnik im antiken Griechenland, etwa 500 Jahre vor Christus, als der Dichter Simonides von Keos freie Reden mit Hilfe der LOCI-Methode memorierte.
Bei den Merkmethoden handelt es sich im einfachsten Fall um Eselsbrücken oder Reime. Neben diesen gehören auch komplexere Methoden, wie die eben erwähnte LOCI-Methode oder das Master-System dazu, welche es dir ermöglichen eine Vielzahl an Informationen zu speichern.
Seit 1991 finden sogar Weltmeisterschaften im sogenannten Gedächtnissport statt. Dabei wird die Leistung der Kontrahenten in unterschiedlichen Disziplinen gemessen; ähnlich dem Zehnkampf in der Leichtathletik. Das Memorieren der Zahl PI wird unter Gedächtnissportlern auch liebevoll als „PI-Sport“ betitelt.
Warum Mnemotechnik funktioniert: das menschliche Erinnerungsvermögen
Der Mensch kann sich evolutionsbedingt besser an etwas erinnern, wenn er es mit lebhaften Bildern, Sinneswahrnehmungen, starken Emotionen oder einer Geschichte in Verbindung bringen kann. Denn dies war über Jahrtausende hinweg überlebensnotwendig. Das Geräusch eines gefährlichen Tieres war mit der Emotion Angst und der Assoziation der Gefahr verbunden. Je anschaulich und lebhafter die Bilder, Sinneswahrnehmungen oder Emotionen waren, desto besser konnten wir uns daran erinnern.
Versetze dich für einen Augenblick in deine Kindheit zurück: Welche Erinnerungen fallen dir spontan ein?
Du wirst feststellen, dass die meisten deiner Erinnerungen mit starken Emotionen oder Sinneswahrnehmungen in Verbindung stehen und sofort ein Bild vor deinem inneren Auge entstehen lassen.
Gründe sich mit Mnemotechnik auseinanderzusetzen
Heutzutage bestimmen wir selbst, welche Informationen wir als „überlebensnotwendig“ einordnen. Hinzu kommt, dass die Informationen, die wir täglich verarbeiten, immer abstrakter werden. Um sich in der heutigen Informationsgesellschaft zurecht zu finden, ist der Umgang (erfassen, speichern und abrufen) mit Informationen sehr wichtig für uns geworden.
Die Grundlagen von Mnemotechnik
Die Mnemotechnik beruht auf sieben geistigen Faktoren, welche die Basis aller Merkmethoden darstellen. 1 Einige Methoden kombinieren gleich mehrere dieser Faktoren, um das Erinnerungsvermögen bestmöglich anzuregen.
1. Die Transformation
Unter Transformation wird die Umwandlung von abstrakten Informationen in etwas für das Gehirn Anschauliches verstanden. Eine Aufgabe, die häufig auch in der Universität oder dem Beruf von uns abverlangt wird. Hierbei wird etwas Bekanntes mit dem Abstrakten verbunden.
Wie kannst du dir zum Beispiel ein sicheres aber abstraktes Passwort merken?
IsjMu9UidUBuz1€F!
Ich steige jeden Morgen um 9 Uhr in die U–Bahn und zahle 1€ Fahrtkosten!
2. Die Assoziation
Bei der Assoziation werden neue Informationen mit bereits bekanntem Wissen aus dem Langzeitgedächtnis verbunden.
Für das Erlernen einer neuen Sprache oder für die Erweiterung deines Wortschatzes kann dir die Schlüsselwortmethode behilflich sein. Hierbei assoziierst du das neue Wort mit einem bekannten, ähnlich klingenden Wort und bildest daraus eine Geschichte.
Vokabel | Schlüsselwort | Geschichte |
Engl. Wort für Kröte ist toad. | Ein deutsches ähnlich klingendes Wort (die Assoziation) ist z.B. tot. | Auf der Straße liegen viele totgefahrene Kröten. |
Engl. Wort für erschrecken ist to startle | Start | Beim Start des 50-Meter Laufs ertönt eine Pistole, welche dich erschreckt. |
Engl. Wort für kichern ist to snigger | Snicker | Jemand isst ein Snickers und kichert vor Freude dabei. |
Fremdwort | Bedeutung | Geschichte |
Anamnese
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Krankheitsvorgeschichte
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Anna ging am Anfang Ihrer Krankheit zum Chinesen, ihrem Hausarzt.
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Stagnieren | Stocken, nicht weitergehen | Wenn etwas stockt, geht einem dies stark an die Nieren. |
Parenthese | Einschub (Grammatik) | Zwischen deinen Eltern (parents) schiebt sich ein Esel. |
3. Deine Fantasie
Die Fantasie wird viel zu selten als Gedächtnishilfe herangezogen. Häufig wird neues Wissen ausschließlich trocken vermittelt. Fantasie hilft dir dabei neue Sachverhalte leichter zu erlernen und kann den Spaß am Lernen steigern.
Du weißt sicherlich wie es an deinem ersten Tag an der Uni oder dem Beruf war: Dir werden dutzende Menschen vorgestellt und nach kurzer Zeit kannst du dich an keinen einzigen der Namen mehr erinnern. Darauf folgt der teils peinliche Moment des Nachfragens.
Fantasie kann dir hier behilflich sein.
Du kannst den Namen der Person mit einer dir bekannten, berühmten Persönlichkeit in Verbindung bringen. Wie beispielsweise den Vornamen Robin mit Robin Hood oder Robbie Williams. Bilde daraus eine Geschichte! Robin bestiehlt die Reichen oder singt auf einem Konzert einen Song (evtl. ist der Titel des Songs sein Nachname?).
Nicht nur der Name der Person kann die Basis für deine Fantasiegeschichte bilden. Auch andere Merkmale, wie das Auftreten oder das Aussehen der Person kannst du mit einfließen lassen. Fantasie kennt bekanntlich keine Grenzen!
4. Deine Emotionen
Emotionen bürgen ein großes Potential die Erinnerungsfähigkeit zu aktivieren.
Viele unserer Erinnerungen sind mit starken Emotionen wie Freude, Angst, Kummer, Zorn oder Liebe verbunden.
Unser Gehirn beabsichtigt, dass wir aus diesen Erfahrungen lernen und speichert die Erinnerung in unserem Langzeitgedächtnis ab. Ich selbst nutze Emotionen wie Freude oder Angst sehr häufig beim Gedächtnistraining.
Wenn du dir das Datum der ersten Mondlandung merken willst: Stelle dir vor, wie die Reise für die Astronauten zum Mond gewesen sein mag. Sie verspürten Aufregung, Angst und Freude. Fühle dich in die Begeisterung hinein, als erster Mensch einen Fuß auf den Mond zu setzen und die Erde zu betrachten.
Mit einer solch emotionalen Verknüpfung wirst du dich leichter an das Datum des 21. Juli 1969 erinnern.
5. Die Logik
Die Logik hilft uns ebenfalls beim Memorieren. Erkennst du logische Zusammenhänge in neuen Informationen, verbessert sich deine Erinnerungsleistung.
Wie kannst du dir die Schreibweise der Universität Stanford merken? Sodass du das Wort nicht Stantford oder Stanfort schreibst?
Weil Stan mit seinem Auto, einem Ford, zu dieser Universität fährt!
Wenn du die Himmelsrichtungen Westen und Osten vertauschst, kannst du dir die Frage „Wo ist Westen und Osten?“ stellen und hast damit direkt die Antwort!
Das Wort „Wo“ gibt die Reihenfolge von links nach rechts an.
6. Die Verortung
Mit Hilfe der Verortung können wir Lernstoff vollständig und in der richtigen Reihenfolge wiedergeben. Daraus entstand die sehr effektive LOCI- und Gedächtnispalast-Methode.
Informationen werden dabei mit Orten in Verbindung gebracht. Wenn wir an einen Ort denken, ist dies für unser Gehirn kein abstraktes Objekt mehr und somit leichter zu erfassen. Zudem haben wir eine visuelle Vorstellung, ein Bild, von dem Ort vor Augen.
Wir alle nutzen diese Technik bereits im Alltag. Ein Beispiel ist der Einkauf im Supermarkt. Sofern keine Einkaufsliste zur Hand ist, stellst du dir sicherlich ein Bild deines Kühlschranks (der Gedächtnispalast) vor deinem geistigen Auge vor und überlegst, welches Fach (Ordnungsmerkmal) leer gewesen ist. „Das obere linke Fach ist leer? Dann fehlen die Milchprodukte!“
Die Methode der Verortung wurde bereits vor 2.000 Jahren von den Römern für das Memorieren der freien Rede genutzt. Die Stichpunkte der Rede wurden im Gedächtnispalast abgelegt und chronologisch durchlaufen. Dies ermöglichte es den Rednern stundenlang frei vorzutragen.
7. Deine Visualisation
Bei der Visualisation erstellen wir ein Bild vor unserem geistigen Auge. Das Bild sollte so klar und lebendig wie möglich sein. Eben genau das Gegenteil von abstrakt. Hierfür eignet es sich das Bild reich an Sinneseindrücken zu gestalten: Welche Geräusche sind im Bild? Wie riecht es? Wie fühlt es sich an? Jeder von uns hat die Fähigkeit (die Fantasie) sich viele unterschiedliche Bilder vor dem geistigen Auge entstehen zu lassen.
Wie gut unser Gedächtnis in Verbindung mit Bildern funktioniert zeigte im Jahr 1973 eine Studie von Prof. L. Standing. 2
Den Probanden wurde alle fünf Sekunden ein aussagekräftiges Bild gezeigt – insgesamt 1.000 Bilder. Anschließend wurden der Person zwei Bilder vorgelegt. Eines der Bilder war unter den 1.000 gezeigten Bildern, das andere nicht.
Im Durschnitt erinnerten sich die Probanden an 992 aus 1.000 Bildern! Das gleiche Experiment wurde mit Wörtern ausgeführt. Der Erinnerungsgrad lag nur noch bei 70%.
Ein weiteres Beispiel: Der Schall hat eine Geschwindigkeit von 330 Metern pro Sekunde. Um sich dies zu merken, kannst du dir ein Bild vorstellen, wie du an der Startlinie einer 400m-Rennstrecke (Sportplatz) stehst. Während der Startschuss noch ertönt, wirst du bereits vom Schall überrundet.
Alltagssituationen in denen du Mnemotechnik anwenden kannst
Merke dir Zahlen
Oft greife ich bei dem Bezahlen im Internet nach meiner Kreditkarte. Dafür stehe ich vom Schreibtisch auf, gehe zu meinem Mantel, greife das Portemonnaie und hole die Kreditkarte heraus. Es hätte sich längst bezahlt gemacht, diesen Zeitaufwand in das Lernen der Ziffernfolge zu stecken.
Dies lässt sich natürlich auf beliebige andere Anwendungsfälle übertragen: Telefonnummern, PLZ, WLAN-Passwörter, Geburtstage, Versicherungsnummer oder die Nummer der Bahncard. Auf alle Ziffernfolgen eben, die wir öfters nachschlagen müssen.
Merke dir Namen
Die zuvor beschriebene Methode zum Memorieren von Namen hilft dir dabei den Namen einer dir vorgestellten Person nicht direkt zu vergessen. Damit bewahrt dich diese Technik vor der unangenehmen Situation des Nachfragens.
Es ist also gerade für den Einstieg in den Beruf oder bei der Vorstellung eines neuen Freundeskreises eine sehr hilfreiche Merkmethode!
Merke dir historische Daten und Fakten
Historische Daten kannst du dir sehr gut mit Reimen oder Merksprüchen merken. Diese kleinen Tricks oder auch Eselsbrücken können sehr nützlich sein!
Ein Reim für das Jahr der Gründung von Rom:
753 (sieben, fünf, drei) -Rom schlüpft aus dem Ei.
753 vor Christus wurde Rom gegründet.
Ein Merkspruch für die Reihenfolge der Planeten des Sonnensystems:
„Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unseren Nachthimmel.“
Die Planeten, welcher der Sonne am nächsten stehen: Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun.
Ein Merkspruch für die Himmelsrichtung:
Nicht ohne Seife waschen.
Weitere Anwendungsfälle
Eine Auflistung von Situationen in denen dir die Mnemotechnik im Alltag behilflich sein kann:
- Erlernen einer Fremdsprache
- Erweiterung des Wortschatzes
- Freie Vorträge halten
- Aufmerksamkeit gegenüber anderen erhöht (du kannst dir Dinge merken die anderen Person wichtig sind und es später wieder aufgreifen)
- Kennzeichen (z. B. im Falle eines Unfalls) merken
- Einkaufslisten merken
- Wiederfinden verlegter Gegenstände
Fazit
Das Ziel des Gedächtnistrainings ist vor allem die Steigerung deiner Gedächtnisleistung. Umso mehr Informationen du aufnehmen und in Wissen verwandeln kannst, desto mehr Potential steht deinem Gehirn zur Verfügung. Dadurch profitierst du nicht nur im Alltag sondern auch in anderen Lebensbereichen von den Vorteilen der Mnemotechnik!
Welche Eselsbrücken, Reime und Methoden wendest du im Alltag an? Hinterlasse uns gerne einen Kommentar!
Artikelbild: © A Health Blog - Foter.com
[…] In den meisten Aktivitäten, die in diesen Bereich fallen, ist es zudem möglich lange Zeit im diffusen Denkmodus zu verweilen. Falls du einen genialen Einfall auf dem Fahrrad bekommst musst du nur sicherstellen, dass du diesen nicht wieder sofort vergisst. Dabei können dir Mnemotechniken helfen. […]