Vor kurzem war es (mal wieder) so weit.
Ich musste Bankrott anmelden.
Und dabei lief doch alles so gut!
Schließlich hatte ich mittlerweile ein klares Mission Statement für mein Leben definiert, die letzten Prüfungen im Studium abgelegt, einen coolen, neuen Job angenommen und ein traumhaftes Thema für meine Master-Thesis gefunden.
Trotzdem hatte nicht mehr das Gefühl, alles „im Griff“ zu haben.
Das Studium löst bei vielen Studenten solch eine kleine Sinneskriese aus. Egal, ob es nun die überwältigende Freiheit am Anfang, der routinemäßige Durchhänger in der Mitte oder die Vorstellung des Berufseinstiegs am Ende ist…
So fühlte ich mich einfach überfordert und orientierungslos. Die Priorisierung von Aufgaben fiel mir schwer. Ich wusste nicht, welche neuen Dinge ich in mein Leben lassen sollte – und welche nicht. Mir fehlte Struktur und Halt. Und ständig plagte mich die Frage, ob ich wirklich auf dem „richtigen Weg“ war. Und auch mein Stresslevel schien permanent anzusteigen…
Es dauerte eine ganze Weile bevor ich es akzeptierte… doch letztlich musste ich es mir eingestehen: ich hatte einen Produktivitätsbankrott hingelegt!
Falls auch du dir mehr Halt und Struktur wünschst oder stressfreier durch dein Studium/Leben gehen willst, solltest auf jeden Fall weiterlesen. Denn im heutigen Artikel geht es darum, wie du ein Comeback der Extraklasse hinlegen, mehr Kontrolle über dein Leben erlangen und Stress bewältigen kannst.
Teil 1 – Die Retrospektive
Wenn du mit deiner persönlichen Lage unzufrieden bist, solltest du zunächst ergründen, was eigentlich schiefgelaufen ist. Welche Verkettung von Umständen dich in deine aktuelle Lage gebracht hat?
In solch einer Retrospektive fragst du dich mehrfach hintereinander: Warum? Bis du schließlich an der eigentlichen Wurzel deinees Problems angekommen bist. Klingt banal, ist jedoch ein Schlüsselgedanke und wird von von den meisten Menschen sehr selten praktiziert.
Am Anfang steht die Einsicht…
Der erste Schritt zur Besserung ist es, sich nichts vorzumachen. Such keine Ausreden. Gestehe dir offen und ehrlich ein, dass du „versagt“ hast. Das passiert im Leben nun mal hin und wieder. Und danach wird in vielen Fällen klar, dass eine kurze Auszeit das Problem vielleicht beheben kann.
In manchen Situationen jedoch, macht es mehr Sinn einen richtigen Produktivitätsbankrott anzumelden. Das heitßt: komplett von vorne zu beginnen. Denn wenn du versuchst neue Vorhaben, Ziele oder Gewohnheiten in ein brüchiges System aufzunehmen, sind diese oft von vornherein zum Scheitern verurteilt. Da ist ein Neustart auf dem unbeschriebenen Papier die deutlich bessere Lösung!
Aus der Einsicht resultieren die Erkenntnisse…
Mehrere Tage lange habe ich nach Gründen für meine „misserable“ Lage gesucht. Letztlich haben sich folgende 3 Dinge herauskristallisiert. Vielleicht kannst du selbst von der ein oder anderen profitieren.
Erkenntnis 1: Alles beginnt mit einem zerbrochenen Fenster
Gewohnheiten laufen automatisch ab und benötigen kaum Willenskraft. Daher werden sie auch oft als „Schlüssel zum Erfolg“ bezeichnet. Der erste Teil meines Rückblicks beschäftigte sich daher mit den Dingen, die ich mir in den letzten Monaten (unfreiwillig) ab- oder angewöhnt hatte.
Eines meiner Versagen war, dass ich wieder begonnen hatte, die Snooze-Taste zu verwenden. Obwohl ich mir eine ultimative Strategie im Kampf gegen den Snooze-Button zurechtgelegt hatte, war ich hier vom Weg abgekommen.
Wie konnte das passieren?
Eine mögliche Antwort fand ich in The Tipping Point: How Little Things Can Make a Big Difference. Hier beschreibt Malcolm Gladwell ein Phänomen, welches die US-amerikanische Sozialforscher unter dem Namen „Broken-Window-Theory“ prägten:
If a window is broken and left unrepaired, people walking by will conclude that no one cares and no one is in charge. Soon, more windows will be broken, and the sense of anarchy will spread from building to the street on which it faces, sending a signal that anything goes. – Malcolm Gladwell, kanadischer Journalist
Die Broken-Window-Theory beschreibt, wie ein vergleichsweise harmloses Phänomen – ein einzelnes, zerbrochenes Fenster in einem leerstehenden Haus – später zur völligen Verwahrlosung eines Stadtviertels führen kann.
Ganz ähnlich scheint es mit Gewohnheiten zu sein: Jedes Mal, wenn wir gegen unsere eigenen Regeln verstoßen, schlagen wir im übertragenden Sinne ein Fenster ein; die Hemmschwelle, weitere Fenster einzuschlagen, sinkt…
Da ich nach einem Musikfestival (4 Tage ohne jegliche Regeln und Gewohnheiten) nicht konsequent genug gewesen war, meine eingeschlagenden Fenster zu reparieren, schlich sich dies schlechte Snooze-Gewohnheit zurück in mein Leben.
Besonders tückisch an diesem Phänomen: es können sich Kettenreaktionen ergeben: das Snoozen führte beispielsweise zwangsläufig dazu, dass ich später aufstand, was wiederum dazu führte, dass ich später ins Bett ging. Da ich die „neugewonnene“ Zeit am Abend jedoch „füllen“ musste, fing ich wieder damit an Serien zu schauen, was wiederum zum ein oder anderen unnötigen Snack geführt hat. Das Gewicht stieg…
Eine passende Passage hierzu habe ich in The Miracle Morning entdeckt:
Every time you choose to do the easy thing, instead of the right thing, you are shaping your identity, becoming the type of person who does what’s easy, rather than what’s right. – Hal Elrod, Autor von The Miracle Morning
Soll heißen: in gewisser Weise programmieren wir uns mit jedem schlechten Verhalten darauf, dass es OK ist, die eigenen Regeln zu brechen.
Der einzelne Rückfall selbst ist nicht schlimm. Aber die Tatsache, dass ein einzelnes Versagen eine Einladung für weiteres, schlechtes Verhalten ist!
Wenn du dich entscheidest das Leichte anstatt dem Richtigen zu tun, kann auch eine einzelne Ausnahme schnell zu einer Abwärtsspirale führen, die in der Verwahrlosung einer oder sogar mehrerer guter Gewohnheiten gipfelt. Keine deiner Entscheidungen und Aktionen läuft je wirklich isoliert ab. Falls du dich also doch einmal bewusst dazu entscheidest zu „sündigen“, behalte deine Broken Windows im Auge und repariere sie zeitnah. Denn: Alles beginnt mit einem zebrochenen Fenster.
Erkenntnis 2: Das Leben gleicht einer Odyssee
Der zweite Bereich, dem ich eine besondere Beachtung schenkte, waren die Commitments, die ich letzten Jahr eingegangen bin. Ausschlaggebend hierfür war eine E-Mail aus der Vergangenheit, die kürzlich in meinem Postfach landete.
Ja, du hast richtig gelesen!
„The following is an e-mail from the past, composed on February 26,2016. It is being delivered from the past through FutureMe.org.“
Das wirklich überraschende und traurige dabei war weniger die Mail selbst, sondern, dass nicht einmal die Hälfte der Dinge, die ich darin für mein jetziges Ich vorausgesagt hatte, Realität geworden waren.
Daher kamen mir einige Fragen:
- Habe ich mich mit meinen Commitments maßlos übernommen?
- Habe ich ein verschobenes Bild der Realität?
- Hätte ich mir meine Jahresplanung sparen können!?
- Haben sich vielleicht nur meine Prioritäten geändert?
- Bin ich wirklich so grottig im Planen!?
Die zwei „großen“ Versuchungen, die mich im letzten Jahr „heimgesucht“ und „verlockt“ haben waren ein Job als iOS Entwickler und Ubermind.de.
Ich habe mich für diese unerwarteten Dinge entschieden, da sie auf hoher Ebene mit meinen Werten korrelieren. Eine sinnvolle Vorgehensweise, oder!?
Jain… denn je größer die spontanen Engagements werden, desto schwerer sind deren Auswirkungen abzuschätzen.
Intellectually, the most appropriate way ought to be to work from the top down, first uncovering personal and organizational purpose and vision, then defining critical objectives, and finally focusing on the details of implementation… The trouble is, however, that most people are so embroiled in commitments on a day-to-day level that their ability to focus successfully on the larger horizon is seriously impaired. …Values are critical elements for meaning and direction. But don’t kid yourself—the more you focus on them, the more things you’re likely to feel responsible for taking on. Your values may make it easier for you to make decisions, but don’t think they’ll make things any simpler.
– David Allen, US-amerikanischer Autor, Berater und Erfinder von Getting Things Done
Eine große Farce an der Stelle ist es, das eigene Zukunfts-Ich auf kurz- und mittelfristiger Ebene phänomenal zu überschätzen. Dem eigenen Zukunfts-Ich wird oft deutlich mehr Kompetenz, Motivation und Zeit zugeschrieben.
Auf Jahresebene führt das planlose Annehmen von Projekten daher häufig dazu, dass man irgendwann mit einer Vielzahl unfertiger Projekte dasteht.
Die unfertige App hier, ein halber Business Plan da…
In gewisser Weise gleicht das Leben eben mehr einer Odyssee als einer einfachen Schiffsfahrt zum Horizont.
Das Bewusstsein über die eigenen Werte ist die Ausgangslage für eine Vision im Leben. Doch das ist nur die halbe Miete! Denn die konsequente Umsetzung und das Durchhaltevermögen auf Tagesebene – eine Fessel – ist mindestens genauso wichtig, um ein Vorhaben in die Realität umzusetzen. Eine Jahresplanung im Top-Down Ansatz ist deshalb auch nicht immer sinnvoll, da es leicht passieren kann, dass man sich dabei „overcommitted“ und am Ende gar nichts schafft.
Selbst wenn wir sicherstellen, dass wir auf dem richtigen Schiff sind, die Segel hissen und das Reiseziel noch so intelligent wählen; wenn wir uns nicht wie Odysseus zusätzlich an den Mast binden lassen, treiben uns die Sirenen des Lebens unumgänglich vom Weg ab und vielleicht sogar in den Tod (wir geben ein Ziel komplett auf). Die Fesseln, die Odysseus an den Mast seines Schiffes binden, schränken ihn zwar ein, jedoch bieten sie ihm die Möglichkeit, die Schönheit der Stimmen der Sirenen zu erleben und trotzdem mit dem Schiff auf Kurs zu bleiben. Sei also gewappnet. Denn: Das Leben gleicht einer Odyssee.
Erkenntnis 3: The grass is always greener on the other side
In meiner Produktivitäts-Hochphase pflegte ich ein Morgenritual von 5:00 – 7:30 Uhr inklusive Morgensport, Meditation, Gehirnjogging, Vokabellernen und vielem mehr. Jeden Sonntag habe ich zudem die nächste Woche durchgeplant um immer genau auf Kurs zu bleiben. Auch Freizeit habe ich im Kalender eingeplant, damit diese nicht zu kurz kam.
Um diese Produktivität aufrechtzuerhalten waren jedoch strenge Vorkehrungen nötig. Ich hatte damals die Macht der Gewohnheit entdeckt und mein Leben komplett auf Effizienz hin optimiert und umstrukturiert. Ich hatte einfach alles unter Kontrolle.
Wirkliche Kontrolle im Leben mag nur eine Illusion sein, doch auch ein „Gefühl von Kontrolle“ – eine Selbstwirksamkeitserwartung – lässt einen entspannter durchs Studium & Leben schreiten!
Dennoch hatte sich bei mir irgendwann – vor allem während meiner 21-tägige Reise durch Kalifornien, als mein Kopf wirklich frei war – der Wunsch nach mehr Flexibilität und Freiheit bei mir eingestellt. Mir kam der Verdacht, dass Menschen, die sich selbst keine so starre Struktur auferlegten wie ich, vielleicht mehr Spaß und Freude im Leben hatten.
Glück – so dachte ich – resultiert für mich vor allem aus Freiheit; Freiheit zu entscheiden und tun zu können, was ich will. Das war jedoch so ziemlich das Gegenteil von dem „Gewohnheitskorsett“, welches ich mir umgeschnürt hatte.
Ich setzte mir daher bewusst das Ziel meine zuvor angesprochene „Fesseln“ etwas zu lockern.
Zunächst auch mit viel Erfolg. Doch schon bald schlichen sich durch die „Lockerungen“ nach und nach wieder Broken Windows und neue Commitments in mein Leben. Und je unstrukturierter ich wurde, desto mehr Stress entstand in meinem Leben. Und Stress wollte ich tunlichst vermeiden, denn es trübt für mich die Freude vollkommener Flexibilität und Freiheit einfach zu sehr.
Es war ein Dilemma: ob ich nun in vollkommener Freiheit oder vollkommener Struktur lebte; irgendwo in mir drinnen, sehnte ich mich ständig nach dem jeweils anderen „Ideal“.
Gestaltest du dein Leben zu starr und schnürst die Fesseln sehr straff, erreichst du deine Ziele vermutlich deutlich effizienter und stressfreier. Allerdings fühlst du dich unter Umständen manchmal wie eine unsoziale Maschine und übersiehst die besten Opportunitäten, die sich in deinem Leben auftun.
Gestaltest du die Fesseln im Leben zu locker, erlebst du zwar mehr Zufriedenheit im Hier und Jetzt, doch plagt dich vermutlich häufiger Stress, da dir jeglicher Halt fehlt.
Doch egal was du tust, du wirst immer eine leichte Tendenz haben, jenes, was du nicht hast, zu überschätzen und jenes, was du hast, zu unterschätzen. Das Ziel ist daher nicht nur, die richtige Balance zwischen Struktur und Flexibilität zu finden, sondern auch zu akzeptieren, dass niemals alles perfekt sein wird – nicht heute, nicht morgen, nicht in 10 Jahren. Erinnere dich daran: „The grass is always greener on the other side“
Erkenntnisse führen zu einem Lösungsansatz
Meine Retrospektive machte mir deutlich, dass ich nicht nur etwas ändern, sondern einen kompletten Neustart hinlegen musste.
Die nächste Frage war jedoch, wie ich das machen sollte.
Ich erinnerte mich zurück, wie ich es beim ersten Mal geschafft hatte mehr Struktur in mein Leben zu bringen: Getting Things Done.
Vielleicht hast du dich schon einmal gewundert, warum wir auf Ubermind.de, einem Blog bei dem sich vieles um Produktivität dreht, noch nie GTD angesprochen haben. Zum einen lag das daran, dass wir GTD für sehr komplex hielten. Unser Ziel auf Ubermind.de war stets gewesen, an den großen Hebeln anzusetzen und GTD erscheint auf den ersten Blick als alles andere als das. Es beschäftigt sich kaum mit Langzeitplanung.
Erst nach dem erneuten Lesen des Buches in Kombination mit den Ergebnissen meiner Retrospektive, fiel es mir jedoch wie Schuppen von den Augen: GTD hatte mir mit wöchentlichen Reviews geholfen, meine Broken Windows zur richtigen Zeit zu reparieren. Es war ebenfalls die Fessel gewesen, die mich an den Mast meines Schiffes band und mir half zu entscheiden, was ich in mein Leben lasse und was nicht (und diese Entscheidung bewusst und stressfrei zu machen). GTD war jedoch auch eines meiner Probleme gewesen, da es in seiner Gesamtheit sehr zeitaufwändig und komplex umzusetzen war.
Dennoch wollte ich dem Ganzen noch eine Chance geben, denn nach kurzer Recherche stellte sich raus, dass fast niemand GTD beim ersten Anlauf nachhaltig in sein Leben implementiert bekommt. Die meisten brauchen mehrere Anläufe, bis sie endlich das richtige Level an Struktur für sich gefunden haben.
Aber unabhängig davon, ob auch du dich nach diesem Artikel mit GTD beschäftigen willst oder nicht. Es gibt ein Gold Nugget aus Getting Things Done, welches unschlagbar ist, wenn es darum geht einen Neuanfang zu wagen. Der Autor nennt es Cleaning House und sieht es als Grundlage und Voraussetzung dafür, das System einführen zu können.
Dieses Vorgehen war die Inspiration für das, was ich im zweiten Teil dieses Artikels „Tabula Rasa“ nenne; den Neuanfang auf einem „unbeschriebenen Blatt“.
Teil 2 – Tabula Rasa
Wenn ich von einem kompletten Neustart spreche, dann meine ich das auch so!
Ich habe mir für mein Tabula Rasa ganze 3 Tage Zeit genommen und es in 3 Phasen eingeteilt:
- Das physische Tabula Rasa
- Das digitale Tabula Rasa
- Das mentale Tabula Rasa
1) Das Physische Tabula Rasa
Physisches Tabula Rasa ist etwas, das viele Menschen ohnehin schon praktizieren. Es stellt im Prinzip einen Frühjahrsputz dar, bei dem das komplette Haus gesäubert wird, alle physischen „Broken Windows“ repariert und unnütze Dinge entsorgt werden.
Der einzige Unterschied zum klassischen Hausputz ist, dass alle Gegenstände, mit denen eine ausstehende Aktion zusammenhängt, an einem Ort gesammelt werden. Dekorationen, Bücher und Nahrungsmittel bleiben natürlich wo sie sind. Alles andere (noch nicht abgeheftete Rechnungen, ausgeliehene oder zu reparierende Gegenstände) wird jedoch in einer Inbox gesammelt. Dies dient als Vorbereitung für Phase 3.
Falls du so etwas schon einmal gemacht hast, dann weißt du, wie gut sich das anfühlen kann, einen „physischen Reset“ zu machen. Diese Phase gibt dir visuelles Feedback und vermittelt ein Gefühl von Fortschritt und Zufriedenheit; vor allem wenn man viele materielle Dinge endlich „loslassen“ und entsorgen kann.
Einen 100%igen physischen Reset wirst du zwar vermutlich nur dann hinbekommen, wenn du umziehst oder in einer kleinen Studenten-WG wohnst. Doch auch wenn du vorerst mit einer Abstellkammer oder einem Dachboden „cheatest“, ein 80:20 Vorgehen a la Pareto kann hier große Wunder wirken!
2) Das Digitale Tabula Rasa
Du magst deinen Computer und dein Smartphone vielleicht nicht als solche betrachten; doch auch sie stellen einen „Raum“ dar, der verwahrlosen kann. Chaos im digitalen Bereich unterscheidet sich kaum von einem unaufgeräumten Zimmer. Im Gegenteil: Digitale Dateien verleiten sogar noch mehr zum Horten als materielle Dinge. Duplikate und verschiedene Ordnerstrukturen über Applikationen und Geräte hinweg sind die Folge.
Daher findet die Broken-Window-Theory auch hier Anwendung. Du hast zwar ebenfalls die Möglichkeit eines „Umzugs“ um komplett von vorne zu beginnen. In der Regel ist dieser „gezwungene“ Reset jedoch auch hier eher die Ausnahme, z.B. wenn du deinen Rechner wechselst oder komplett neu aufsetzt.
Das Ziel eines digitalen Tabula Rasa ist es ebenfalls, alle Dateien mit ausstehende Aktion zu markieren oder an einem Ort sammeln, um bestens für Phase 3 vorbereitet zu sein.
3) Das Mentale Tabula Rasa
Diese letzte Phase ist am schwersten greifbar, jedoch ist sie zugleich die Wichtigste. Stell dazu zunächst folgende Fragen:
Wann…
- ... hast du das letzte Mal auf einen Artikel geklickt, weil die Überschrift so verlockend klang und du wissen wolltest, wie es weitergeht?
- … hattest du das letzte Mal einen Ohrwurm und wie hast du ihn losbekommen?
- … wolltest du nach einem Episoden-Cliffhanger deiner Lieblingsserie sofort wissen, wie es weitergeht?
Der Mensch hat eine Tendenz für gewisse Dinge eine mentale Spannung aufzubauen und diese danach wieder abbauen zu wollen. Dieses Phänomen wurde als Zeigarnik-Effekt bekannt und bezeichnet die Idee, dass unabgeschlossene Dinge so lange in unserem Gehirn „herumschwirren“, bis sie endgültig erledigt sind. 1
David Allen redet in diesem Zusammenhang von „Open Loops“. Zu jedem Objekt, das du in Phase 1 oder 2 gesammelt hast, sind in deinem Gehirn laut Allen noch mentale Ressourcen reserviert. Ganz egal, ob du ihrer bewusst bist oder nicht. Phase 1 und 2 waren daher neben der Reparatur von Broken Windows nur ein Hilfskonstrukt für diesen Schritt, denn das wahre Tabula Rasa findet in und für dein Gehirn statt.
Bezüglich mentalem Tabula Rasa bleibt dir leider nichts anderes übrig, als wirklich komplett „aufzuräumen“ und deinen „mentalen Arbeitsspeicher“ zu leeren. Denn anders als bei physischen und digitalen Dingen kannst du hier nämlich notfalls nicht einfach einen Umzug machen.
Und um einen Open Loop zu schließen gibt es nur zwei Möglichkeiten:
- die damit verbundene Aktion auszuführen, oder
- sie niederzuschreiben und an einem Ort abzulegen, von dem du weißt, dass du sie zur richtigen Zeit wiederfindest.
Wann solltest du Tabula Rasa durchführen?
Es gibt (eigentlich) keinen Grund, nicht sofort – nach dem Lesen dieses Artikels – damit anzufangen. Als Student würde es sich lohnen 3 Tage unifrei zu machen, als Arbeitnehmer sich 3 Tage Urlaub oder ein verlängertes Wochenende zu „gönnen“.
Allerdings sieht die Realität oft anders aus und so habe auch ich meinen Neustart einige Wochen vor mir hergeschoben.
Ich würde dir dazu raten, ihn eher in einer ruhigeren Phase zu machen (Semesterferien, Sommerurlaub, Weihnachtszeit), damit du nicht ständig ein (unbegründetes!) schlechtes Gewissen hast, eigentlich etwas anderes tun zu „müssen“.
Vielleicht musst du diesen Artikel auch erst ein zweites Mal lesen, bevor du alles verdauen kannst. Vielleicht musst du auch nicht alle drei Phasen durchführen, falls du einen Bereich davon bereits gut unter Kontrolle hast.
Diesen Artikel habe ich unter anderem auch als Erinnerung für mich selbst geschrieben. Schließlich kann und werde ich mich vermutlich in Zukunft wiedereimal in einer ähnlichen Lage befinden. Produktivität ist eine sehr individuelle Sache und Getting Things Done ist keinesfalls die Wahrheit in dieser Hinsicht. Mein Tabula Rasa Ritual (welches jedoch hauptsächlich von GTD inspiriert wurde) ist jedoch etwas, das ich jedem empfehlen würde, der mit Stressbewältigung und Orientierungslosigkeit zu kämpfen hat.
Welches Produktivitätssystem nutzt du und wie verhinderst du Stress im Studium? Lass es mich in den Kommentaren wissen.
Ziel dieser Uberstrategie ist es, Stress zu reduzieren und für einige Tage deutlich mehr mentale Klarheit zu verspüren. Optional schaffst du dir eine gute Ausgangslage für die Etablierung eines neuen Produktivätssystems, wie GTD, Bullet Journal oder Zen To Done. Der Zeitaufwand dafür hängt stark davon ab, wie ordentlich und organisiert du bereits bist. Die Strategie besteht aus 3 Phasen (geschätzter Zeitinvest): (1) Das physische Tabula Rasa (bis zu 1 Tag) Hinweis: Der Begriff Tabula Rasa steht für „unbeschriebenes Blatt“. Eine Gedankenstütze dafür, so sorgfältig wie möglich auf Vollständigkeit zu achten. Zunächst wird ein klassischer Frühjahrsputz durchgeführt: Staubsaugen, abstauben, ausmisten, umsortieren, … Für jedes Objekt wird dabei zusätzlich entschieden, ob irgendeine Aktion damit verbunden ist (Rechnungen, die noch abzuheften sind; geliehenen Gegenständen, die zurückgegeben werden müssen; Geräten, die auf ihre Reparatur warten,… – egal ob heute, morgen oder in einem Jahr). Falls sich eine anstehende Aktion identifizieren lässt, landet das Objekt in einem zentralen Sammelort. Dekorationsobjekte, Bücher, Nahrungsmittel und ähnliches bleiben wo sie sind. Diese Phase gibt dir visuelles Feedback und vermittelt ein Gefühl von Fortschritt und Zufriedenheit. Vor allem wenn du viele materielle Dinge endlich „loslassen“ und entsorgen kannst. So bringst du Ordnung in dein digitales Chaos: Diese Phase dient dazu, digitale Komplexität und Stress zu reduzieren, der durch redundante Applikationen und unklare Ablagestrukturen entsteht. Falls du dabei über offene To-Dos stolperst, schreibe jedes davon auf ein extra Blatt Papier; sammle alle Aufgaben in einer Inbox. Nun nimm dir die Sammlung materieller Dinge aus Phase 1 vor und entscheide für jedes Objekt was genau die nächste, physische Aktion ist, die damit zusammenhängt. Sei dabei so spezifisch wie nur möglich und versuche immer auch ein Verb zu verwenden. Alle Aktionen notierst du dir auf deiner Tasksliste (App, Notizbuch, leeres Blatt Papier,…). Zudem solltest du diese Tasks einer von drei Gruppen zuordnen: Das alles machst du auch mit den To-Dos deiner digitalen Sammlung. Zuletzt – und das ist womöglich der wichtigste Schritt von allen – führst du einen ca. 30-minütigen Mind Sweep durch. Dabei notierst du dir alles, was dir sonst noch so im Kopf herumschwirrt. Schau dir hierzu folgende Trigger an: Falls du eine Bucket List, eine Impossible List, Wuschlisten etc. hast, nutze diese als Trigger. Das Ziel der letzten Phase ist dazu da deine mentalen Spannungen zu lösen und alles aus deinem Kopf herauszubekommen, was dort nicht hingehört. Wenn du dich jetzt tatsächlich an GTD wagen willst, solltest dir dafür am besten selbst ein Exemplar von Getting Things Done zulegen. Nichts übertrifft das eigenständige Lesen eines Buches! Willst du higegen bewusst kein (neues) Produktivitätssystem einführen, musst du damit rechnen, dass du innerhalb von 1-2 Wochen wieder reichlich Broken Windows in deinem Leben haben wirst. Für ein paar Tage jedoch wirst du ein neues Level an Entspanntheit und Struktur verspüren. Und das reicht in der Regel aus, dir einmal wieder richtig langfristige Gedanken über dein Leben zu machen und auch zu entscheiden, wie viel Struktur du in deinem Leben überhaupt willst und brauchst.Uberstrategie - Mache jetzt deinen ersten Schritt
(2) Das digitale Tabula Rasa (bis zu 1 Tag)
(3) Das mentala Tabula Rasa (bis zu 1 Tag)
1) DAS PHYSISCHE TABULA RASA (~ 1 Tag)
2) DAS DIGITALE TABULA RASA (~ 1 Tag)
3) DAS MENTALE TABULA RASA (~ 1 Tag)
Dennis Nehrenheim says
Hallo Katharina,
dein Kommentar leider ging voll unter bei mir. Doch lieber spät als nie: danke für dein Feedback! Mich würde interessieren, ob du inzwischen bereits auch etwas über Stress veröffentlicht hast? Wir haben vor einiger Zeit einen weiteren Artikel dazu gebracht: https://ubermind.de/stress-schnelle-entspannungsmethoden/
LG
Dennis